Über Generationstrauma

Die moderne Traumaforschung – insbesondere die Bereiche Bindungsforschung, intergenerationale Traumaforschung und Epigenetik beschreibt heute sehr klar:  

Trauma endet nicht mit der Person, die es erlebt hat.

 

Es wird, wenn es nicht verarbeitet wird, über Verhalten, Bindungsmuster, Nervensysteme und sogar über veränderte Genaktivitäten an die nächsten Generationen weitergegeben.

Die erste Generation: Das erlebte Trauma

In der Traumaforschung zeigt sich:

  • Ihr Nervensystem schaltet in Überlebensmodus (Fight, Flight, Freeze, Fawn).

  • Emotionen werden abgespalten, um zu überleben.

  • Kinder werden eher „funktional“ behandelt, nicht emotional.

  • Bindung wird unsicher oder desorganisiert.

Das Trauma wird nicht verarbeitet. Es bleibt im Körper, im Nervensystem, im Verhalten.

 

Die zweite Generation: Die Kinder der Traumatisierten

Sie wachsen ohne Trauma auf – aber mit Eltern, in deren Nervensystem das Trauma steckt.

Typische Folgen laut Forschung:

  • emotionale Unerreichbarkeit

  • wenig körperliche Nähe

  • überprotektive oder überforderte Eltern

  • Schweigen über das Erlebte

  • das Gefühl „irgendetwas ist nicht sicher“

  • Identifikation mit dem Leid der Eltern

  • Parentifizierung (Kinder übernehmen Verantwortung für Eltern)

Die zweite Generation spürt die Spannung, den Schmerz, die unerlösten Emotionen – aber es wird wenig/nicht darüber gesprochen. In den meisten Fällen sind sie noch zu nahe dran, um vollständig zu heilen. 

 

Die dritte Generation: Die „Fühlenden“ und „Heilenden“

Die Forschung beschreibt, dass die dritte Generation oft:

  • sehr sensibel ist

  • „unerklärliche“ Ängste oder depressive Tendenzen zeigt

  • diffuse Schuldgefühle trägt

  • Nähe sucht, aber Angst davor hat

  • eine starke innere Unruhe spürt

  • das Bedürfnis hat, „alles richtig zu machen“

  • Heilung für die Familie beginnt

Warum?

Weil sie genug Sicherheit hat, um zu fühlen.
Sie lebt nicht im Krieg, nicht im unmittelbaren Überlebensmodus.  Dadurch steigen unterdrückte Gefühle der vorherigen Generationen wieder hoch.

 

 

Epigenetik....

...bedeutet: Erlebnisse verändern, wie Gene an- oder abgeschaltet werden. Die Gene selbst ändern sich nicht – aber ob sie aktiv sind.

Studien zeigen:

  • Stresshormonsysteme (z. B. Cortisol) können durch Trauma verändert werden.

  • Nervensystem-Reaktionen werden geprägt
  • Angst- oder Bindungsmuster werden beeinflusst
  • Diese Veränderungen können an Kinder und Enkel weitergegeben werden.
  • Enkelkinder von Holocaust-Überlebenden zeigen z. B.:

    • erhöhte Stressreaktivität

    • veränderte Cortisolwerte

    • höheres Risiko für Angststörungen

Die Forschung nennt es: transgenerationale epigenetische Markierungen.

Das ist heute kein esoterisches Konzept – es ist wissenschaftlich untersucht.

Trauma wandert weiter, wenn es nicht gefühlt wird.
Heilung wandert weiter, wenn jemand beginnt zu fühlen.

Das heißt: Wir erben nicht das Trauma selbst – sondern die Art, wie unser Körper auf die Welt reagiert.

Z.B.: Wenn deine Großmutter traumatischen Hunger erlebt hat, kann ihr Körper gelernt haben: „Wir müssen immer auf Alarm sein. Es könnte gefährlich werden.“

Diese Alarmbereitschaft wird biologisch abgespeichert – Hormone, Gene, Nervensystem.

Deine Mutter erbt ein Nervensystem, das schneller in Stress geht. Du erbst vielleicht eine erhöhte Sensitivität oder Angst, die du dir nicht erklären kannst. Dein Körper erinnert sich an etwas, das du selbst nie erlebt hast. Die Epigenetik ist veränderbar. Heilung, sichere Bindung, Therapie, Rituale, Spiritualität, Naturverbindung – all das kann epigenetische Muster abschalten und umprogrammieren.

 

Stell dir nun mal vor, es ist 1940......

Krieg, Hunger, Armut, Angst, Mangel, Existenzangst, Verlust, emotionale Kälte und staatliche Kontrolle stehen an der Tagesordnung. Männer waren eingezogen, viele Frauen standen allein mit Kindern da.

Die meisten unserer Großeltern wurden zwischen ca. 1925 und 1945 geboren. Ihre Kindheit bestand aus Luftangriffen, Nächten im Keller, Sirenen und Dunkelheit, Flucht, Vertreibung und ständiger Angst. Vätern, die im Krieg waren und nie zurückkamen und Müttern, die alleine überleben mussten. Das Nervensystem war im Dauerstress. Mangel statt Geborgenheit. Zu wenig zu essen, zu wenig Wärme, zu wenig Sicherheit, zu wenig Platz, zu wenig Raum für emotionale Bedürfnisse.  Kinder standen stundenlang in Schlangen für Brot oder Kohle. Manchmal war das Überleben wichtiger als Nähe.

Gefühle waren gefährlich – sie machten verletzlich.

Der Erziehungsratgeber „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ von Johanna Haarer verbreitet sich überall und suggeriert:

„Gefühle sind schädlich“

  • Haarer warnte vor „Überbehütung“ und „Verwöhnung“.
  • Liebe, Nähe, Trost und Bindung wurden als „schwächend“ dargestellt.

Strikte Distanz zwischen Mutter und Kind

  • Säuglinge sollten schreien, ohne getröstet zu werden.
  • Körperkontakt wurde minimiert.
  • Das Kind sollte früh „hart“ werden.

Gehorsam über alles

  • Individualität war unerwünscht.
  • Eigenständigkeit wurde unterdrückt.
  • Kinder sollten formbar, autoritär erzogen und diszipliniert sein.

 

So wurden unsere Großeltern erzogen.

Und diese Zeiten konnten sie nur überstehen, indem sie ihren Schmerz verdrängen.

Die emotionale Welt der Kinder war: Allein, still und angepasst.

Verlust war eine kollektive Erfahrung. Viele unserer Großeltern haben Geschwister verloren, den Vater nie gekannt, die Mutter psychisch gebrochen erlebt, ihre Heimat verloren, alles Hab und Gut zurückgelassen. Traumatische Bilder gesehen, die sie nie erzählt haben. Und selbst wenn es keine Vorfälle in der direkten Familie gab, dann im Umkreis, ein kollektives Trauma.

Man sprach nicht darüber. Man funktionierte. Unsere Großeltern hatten selten Trost, Halt, sichere Bindungen, feinfühlige Eltern, emotionale Sprache und seelische Sicherheit. Kinder wurden groß, aber innerlich blieb vieles leer oder abgespalten. Es gab keinen Raum dafür, es ging ums Überleben.

Diese Generation hat überlebt. Sie hat aufgebaut. Aber sie hatte emotional kaum Ressourcen.

Ihre Kinder (unsere Eltern) wuchsen mit Eltern auf, die streng und emotional unerreichbar waren, wenig Nähe zeigen konnten, Angst hatten, Fehler zu machen und sich selbst nie kennengelernt haben.

Erst in der dritten Generation erinnert man sich und fühlt den Schmerz. Sie bekommen Symptome, die nicht zu ihnen gehören, erkennen Muster und heilen. Die 3. Generation ist oft die, die bricht – und heilt.

Wir fühlen den Schmerz, den sie nicht fühlen durften.

 

Symptome der 3. Generation (die „Transformationsgeneration“):

Viele erleben:

  • innere Unruhe ohne „Grund“
  • Ängste, die nicht zur eigenen Biografie passen
  • Schuldgefühle
  • Perfektionismus
  • das Gefühl, „für alle stark sein zu müssen“
  • Schwierigkeiten mit Grenzen
  • starke Sehnsucht nach Nähe & tiefer Bindung
  • spirituelle Sensitivität
  • das Bedürfnis, „die Linie zu heilen“

Das sind keine Zufälle – sondern Vererbungen.

 

 

Wie bringe ich Heilung ins System?

Heilung geschieht immer dort, wo Bewusstsein entsteht. Hier sind die Schritte, die die Forschung UND die spirituelle Tradition bestätigen:

 1. Benennen

Was nie ausgesprochen wird, kann nicht heilen.
Erkenne die Muster deiner Linie: Schweigen, Härte, Kälte, Perfektionismus, Leistungsdruck, Überanpassung, Angst und Schuld. „Ah, das gehört nicht zu mir.“ Das ist der erste Schritt.

 2. Bindung heilen

Trauma entsteht in Beziehung  und heilt in Beziehung, z.B. durch Therapie, somatische Arbeit, Bindungsarbeit, Nähe zulassen und gesund Grenzen setzen. 

 3. Den Körper mitnehmen

Trauma sitzt IM Körper. Da muss es raus, z.B. durch Atemarbeit, Seelenreisen, Energetik, Rituale, Tanzen, Erdung, Zittern und Nervensystem-Regulation.

 4. Annahme

Nicht „entschuldigen“ – anerkennen, was war. 

 5. Selbstfürsorge als Heilritual

Alles, was deine Großmutter/Großvater sich nicht erlauben durfte Wärme, Ruhe, Genuss, Weinen, Nähe, Kreativität, Freiheit-  ist heute Heilung für die ganze Linie.

 6. Du erschaffst neue Muster

Wenn du weich sein darfst, Fehler machen darfst, Nein sagen lernst, dich nicht mehr über Leistung definierst, Liebe zulässt

… dann heilst du deine Linie.

7. Deine Wahrheit aussprichst

Damit brichst du das Schweigen, das Generationen lang gehalten wurde.

 

 

Wir sind die Generation, die den Schmerz nicht mehr normal findet, die fühlt. Wir sind die Generation, die sich fragt:
Warum? Woher? Wie kann es anders werden?

Und genau deshalb sind wir auch die Generation, die das System heilen kann.

Nicht, indem wir perfekt werden, sondern indem wir bewusst werden.

Die früheren Generationen mussten überleben. Wir dürfen leben.
Und mit jedem geheilten Gefühl, jeder Träne, jeder Grenze, jedem Ja, jedem Nein,
schreiben wir die Geschichte unserer Linie neu.

Du bist das Tor, durch das Heilung wieder in deine Familie kommt.

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